Ein interessanter und (aus Clubsicht durchaus erfreulicher) Artikel in der Tageszeitung "Die Presse" Print-Ausgabe, 03.11.2008:

Ein Hauch von Neapel: Vespa-Boom in Wien

Kleine Zweiräder als urbane Fortbewegungsmittel boomen;
wegen Benzinpreis, Parkplatznot und jungen Frauen, die umsteigen.

Die Wahlkampfstrategen der FPÖ können beruhigt sein: Wien wird nicht Chicago. Wien wird nämlich Neapel. Nicht bei Autodiebstahl, Müllchaos oder Verbrechen, wie es Autor Roberto Saviano in seinem Bestseller „Gomorrha“ beschrieb, sondern in puncto Stadtgefühl. Denn ein Teil des italienischen Lebens boomt in Wien. Vespa-Roller, Mopeds und kleine Lifestyle-Motorräder, die das Bild in südlichen Städten prägen: „Das ist ein absoluter Trend“, erklärt Karin Munk, Sprecherin der heimischen Zweirad-Importeure und Händler. „Dieser Trend betrifft vor allem den urbanen Bereich. Das zeigen alle Umfragen unter unseren Händlern.“

In Zahlen ausgedrückt: Von 1997 bis 2007 sind die Zulassungen von Vespa & Co. in Österreich laut Statistik Austria um fast 70 Prozent auf 58.396 gestiegen; jene der normalen Motorräder, die außerhalb der Stadt eingesetzt werden können, nur um 32 Prozent. Und: Heuer legten Leichtmotorräder (125 ccm3) trotz Wirtschaftskrise um fast 20 Prozent zu (Zeitraum: Jänner bis August), wobei die Zahlen im September förmlich explodiert sind: fast 50 Prozent plus im Vergleich zum September 2007, wie der ÖAMTC registriert.

Warum steigen immer mehr Stadtmenschen auf Vespa & Co. um? „Es ist der Spritpreis“, meint Thomas Stix (ÖAMTC): „Wenn der so bleibt, bleibt der Trend bei den Zweirädern.“ Ein fehlender Motorradführerschein ist dabei kein Hindernis: Seit wenigen Jahren dürfen Autofahrer Zweiräder bis 125 ccm3 lenken, wenn sie zuvor einen sechsstündigen Fahrkurs absolvieren; Prüfung gibt es keine.

Zum Kostenargument: Deutsche Experten hatten anlässlich einer Motorradmesse in Köln Anfang Oktober vorgerechnet, dass ein Kleinwagen 22 Euro pro Woche kostet (Treibstoff und Versicherung). Ein etwas größerer Roller kommt dagegen auf 6,50 Euro. Das entspricht etwa einem Drittel der Pkw-Kosten. Dazu kommt: keine Parkplatzprobleme, keine Parkgebühren und die Finanzkrise. Munk: „Familien können sich oft kein Zweitauto mehr leisten. Das wird oft durch einen Roller ersetzt.“ Die immer milderen Winter würden zusätzlich zum Umsteigen motivieren.

Ein weiterer Grund, warum gerade typisch italienische Roller in Wien boomen: Immer mehr Frauen (vor allem junge Frauen und Business-Frauen) steigen um: Fahrkurse für Frauen müssen wegen der großen Nachfrage ausgebaut werden; die Polizei registriert, dass in Mopedkursen bereits 50 Prozent Mädchen sind. Und: Während der Frauenanteil im Bereich der Motorräder bei geschätzten 15 Prozent liegt, ist er im Bereich der Roller bereits bei etwa 30 Prozent, meint Munk: „Der Roller ist ein Lifestyle-Gefährt. Farbe, Aussehen und Accessoires sind wichtig.“ Nachsatz: „Das spricht Frauen an.“

Steigende Verkaufszahlen bei Mopeds und Rollern sorgen traditionell für Sorgenfalten im Gesicht von Verkehrssicherheitsexperten: „Das Verletzungsrisiko ist deutlich höher als in einem Auto. Bereits bei 50 km/h kann schon einiges passieren“, meint Markus Schneider (ÖAMTC). Nur: Die Zahl der Neuanmeldungen ist heuer gestiegen; die Zahl der verletzen Zweiradlenker leicht gesunken. Schneider: „Diese Zahlen hängen oft vom Wetter ab.“

Wie reagiert Wien auf den Boom? Die Antwort: relativ gelassen. Nur zögernd werden Busspuren für Zweiräder freigegeben, um die neue urbane Mobilität zu fördern. Derzeit sind es nur fünf Busspuren in der ganzen Stadt. Und während in Neapel tausende Parkplätze für Vespa & Co. reserviert sind, sind es in Wien 50 Standorte.